Geschichte 11

Schwarmintelligenz beim Tinyhousebau

Ist ohne Besitz alles nichts? Eine Geschichte vom Loslassen

Meine ausgedehnten Reisen mit dem Motorrad durch Myanmar haben mich Erstaunliches gelehrt: all die Dinge, die ich um mich herum wirklich brauche, können sehr wenige sein.

Nachdem ich gut drei Jahrzehnte meines Lebens perfekt aussgestattet und lustvoll sammelnd verbracht hatte, ja die schönsten Möbel und Einrichtungsgegenstände der sechziger Jahre mein Eigen nennen durfte und sie auch noch auf über 200 Quadratmetern ausbreiten konnte, setzte die Ernüchterung ein. Darüber, dass (wenn ich ganz ehrlich zu mir war) jedes neue Stück nur für einen kleinen Moment lang Freude und echtes Glück geben konnte. Dass neben aller Wertschätzung der gehütete Schatz gehegt, gepflegt und in Ordnung gehalten werden wolltte. Und ich dennoch nur auf einem Stuhl an einem Tisch gleichzeitig sitzen konnte. Bekam einen Geschmack davon, wie über Generationen gehortete Güter mir von Tag zu Tag die Luft zum Atmen nahmen, immer mehr und immer weiter, bis von meiner Freiheit kaum noch was übrig war. Die Frage war nun: Ist Besitz alles – und ist ohne Besitz alles nichts? Oder ist es genau umgekehrt?

Was dann folgte, war ein harter und überaus mühseliger Prozess des Loslassens. Bei den allerersten Stücken noch wägte ich unzählige Male ab, ob ich sie wirklich hergeben sollte … könnte, dürfte. Wirklich?

Um meine größte Not zu lindern, begann ich die Teile zu fotografieren. Wie ein Souvenir zur Erinnerung, dass ich sie mal besessen hatte. Und um sie nicht ganz gehen lassen zu müssen. Ich entdeckte aber auch schnell, dass jeder Abschied ein kleines Plätzchen in meinem Herzen frei räumte, und ich die Fotos später eigentlich niemals anschaute.

Mir wurde klar, dass es gar nicht der Besitz einer Sache ist, der mir Befriedigung verschafft, sondern der kreative gestalterische Prozess drum herum. Also die Recherche, das Aufspüren und das Spüren, wie sich das ‚gefunden haben‘ anfühlt. Und im besten Falle, wie ich ein Fundstück künftig einsetzen könne, um weitere gestalterische Prozesse anzustossen. Damit war mein ganz eigenes Verständnis von Minimalismus geboren.

Während ich also zwischen dem wohlausgestatteten Leben in Berlin und dem notwendigen Minimalismus in Mandalay hin und her reiste, schärfte sich mein Blick aufs Wesentliche im Dreimonatsrhythmus. Jedes Mal, wenn ich nach Deutschland zurückkehrte, bewunderte ich zwar die Gegenstände in meiner Wohnung – fragte mich aber auch, warum ich sie überhaupt nicht vermisst hatte? All die neuen Eindrücke und Einsichten, die ich jedes Mal mitbrachte, waren mir mehr wert als der materielle Besitz. Also liess ich weiter los. Was genau sollte das Bedeuten?

Ich begann, mit mir zu experimentieren.

Mitten in einer tropischen Nacht, zu Gast im Klassenraum einer buddhistischen Klosterschule in der alten Königsstadt Bagan, schreckte ich auf. Hatte nach meiner Ankunft schnell eine Matratze in die Ecke geschmissen und war erschöpft von der Anreise binnen Minuten eingeschlafen. Gleich einem Albtraum spürte ich nun plötzlich tausende Insekten auf meinem Körper wimmeln – hatte ich mich doch schlaftrunken ausgerechnet in eine Ameisenstrasse gelegt! Es dauerte mehrere Stunden, bis ich mich vom letzten Tier befreit hatte. Was mir die Einsicht bescherte, dass mein Bett ein essentieller Schutzraum ist und künftig niemals mehr direkt auf dem Boden liegen dürfe. Seitdem habe ich auf Reisen immer ein federleichtes Campingbett bei mir. Die Produktrecherche hierfür war spannend, aufschlussreich und am Ende auch sehr teuer.

Nach und nach legte ich mir ein universelles Reise- und (Über)Lebensequipment zu, das kompakt aber auch komfortabel genug war, um meine Bedürfnisse an Mobilität und Bequemlichkeit zu erfüllen. Würde sogar sagen, dass ich mittlerweile ein Experte darin bin. Denn ich entwickelte eine diebische Freude darin, stets das kleinste, leichteste, haltbarste und nützlichste Gadget zu finden, das auch unter widrigsten Bedingungen bestehen kann.

Nach zwei Jahren wunderschöner Reisen auf dem Motorrad verspürte ich ein Bedürfnis nach einem eigenen Plätzchen. Ankommen. Nicht an einem festen Ort, auch nicht in einem bestimmten Land, und ganz bestimmt nicht in einem Gebäude. Hatte ja zuvor schon mal zwei Jahre in einem Wohnmobil in Paris verbracht und dort elend unter Kälte, Feuchtigkeit und seltsamen Gerüchen gelitten. So schlimm, dass ich mich ungeduscht nicht mehr unter Leute wagte. So sollte es gewiss auch nicht sein. Schaute mich also um und stiess schnell auf die beiden sehr unterschiedlichen Bewegungen der Vanlifer und der Tinyhouse-Bauer. Die einen schaffen sich ein äusserst mobiles und individuelles Zuhause auf vier Rädern, die anderen möchten möglichst naturnah und minimalistisch leben. Ich wollte alles zusammen.

Warum also nicht eine Variante, die so mobil und kompakt wie ein Transporter, aber eben auch so komfortabel ist wie ein echtes Holzhaus?

Diese Idee war geradezu perfekt, um meine bisher gesammelten Minimalismus-Erfahrungen mit der Gestaltung eines optimalen Wohnraums zu kombinieren.

Was nun folgte, war ein jahrelanger Recherche- und Abwägungsprozess. Nachdem klar wurde, dass ich einen LKW praktisch mit allem beladen könne, was sich entsprechend gesichert durch die Welt fahren lässt, entschied ich mich für einen Kleinlaster mit Ladefläche. Wie schon mein Motorrad in Myanmar sollte auch dieser möglichst ein Modell sein, das weltweit im bewährten Dauereinsatz ist. Aber nicht zu groß und nicht zu schwer und auch technologisch nicht zu anspruchsvoll, damit ich möglichst überall frei damit bin. Und es zur Not in jeder Hinterhofgarage reparieren lassen kann.

In den entferntesten Regionen Südostasiens war mir ein Fahrzeug aufgefallen, das dort auch ganz ohne Allradantrieb zuverlässig über schlammige und sandige Pisten brettert: der Mitsubishi Fuso Canter. In Deutschland allenfalls als Kleincontainer-Kipper oder Gartenbaukuli bekannt – im Rest der Welt aber universeller Lastenesel. Es kostete mich schliesslich ein Jahr Sucherei, um das passende gebrauchte Fahrzeug zu finden.

Mangels geeingneter Blaupausen oder ähnlicher Vorbildprojekte arbeitete ich mich parallel dazu mit Youtube-Tutorials und anderen Social-Media-Kanälen in die Geheimnisse des Tinyhouse-Baus ein, bediente mich bei den Erfahrungen von Bootsausbauern, Campern und Busbastlern. Und konzipierte so in Gedanken den Ansatz für mein perfektes Reise-Traumhaus. Am ersten Märztag legte ich die ersten vier Balken auf die Ladefläche des Canters und startete das aufregendste Projekt meines bisherigen Lebens.

Ganz bewusst hatte ich mich dazu entschieden, mein Tinyhaus nicht ganz alleine wie üblich in einer abgelegenen Halle zu bauen, sondern mitten auf der Strasse in meinem Neuköllner Kiez. Versprach mir dadurch mehr Kommunikation und Sichtbarkeit – und wurde mit Einsichten belohnt, die ich niemals für möglich gehalten hätte. Denn meine Nachbarschaft beteiligte sich seit dem ersten Moment unerwartet rege an meiner irren Idee. Mitfühlend und ideenstiftend kamen sie tagtäglich vorbei, erkundigten sich nach dem Stand der Dinge und legten auch mal mit Hand an, wenn ich alleine überfordert war. Manch einfache Lösung hätte ich ohne sie niemals gefunden – und ganz nebenbei lernte ich auch noch alle Vanausbauer meiner Strasse kennen, die sich bei mir das eine oder andere Werkzeug borgten. Plötzlich hatte ich dutzende von Bewerbungen an potentiellen MitbewohnerInnen, die alle den Traum erkannten, den ich zu leben begann. Versuchte sie dann stets zu inspirieren, sich einfach auch einen Van zu besorgen und an meiner Seite ihr eigenes Projekt zu bauen. Was für ein Paradies an gelebter Schwarmintelligenz!

Ich befand mich im regelrechten Baurausch. Tagsüber werkelte ich, abends recherchierte ich die nächsten Schritte und besorgte mir Wissen und das notwendige Material. Experimentierte und verwarf, testete und scheiterte und lernte wiederum daraus. Bis nach sieben Monaten der Rohbau so weit gediehen war, dass ich erste Testfahrten unternehmen konnte. Noch ohne Fenster und mit Moskitonetz wagte ich mich ans Wasser in die polnische Natur und begann dort auch gleich mit dem Innenausbau. Die komplette Konstruktion entstand in diffusionsoffener Bausweise, was soviel heisst, dass Feuchtigkeit aus dem Innern nach draussen gelangen kann. Aber nicht umgekehrt. Ich dämmte ausschliesslich mit Naturmaterialien, und auch im Innenraum achtete ich peinlichst darauf, mir kein Gift in meine gute Stube zu holen. Das Raumklima, so stellte sich heraus, war damit phänomenal. Bei sommerlicher Hitze liess sich durch die Fensteranordnung so intelligent lüften, dass ich auf den Einbau eines elektrischen Ventilationssystems locker verzichteten konnte. Und bei Kälte erwies sich die diffusionsoffene Dämmung als so effektiv, dass tatsächlich keinerlei Feuchtigkeitsprobleme auftraten. Und auch kein Gammel und keine üblen Gerüche.

Bereits im Jahr zuvor hatte ich im Zelt mein Setup mit Solarpanels, Stromspeicher, Campingkühlschrank und Standheizung getestet, so dass ich die Technik jetzt nur noch in mein Konzept integrieren musste. Auch die Recherche nach den besten Haushaltsgadgets war längst abgeschlossen und ich konnte alles einräumen. Hier balso versammelte sich die Essenz meiner langjährigen Arbeit zu Freiheit, Besitz, Minimalismus und Loslassen. Was für ein Gefühl! Der beste Umzug meines Lebens!

Im Sommer zog ich dann tatsächlich probeweise Vollzeit ins Tinyhäuschen. Verbrachte die meiste Zeit an den schönsten Naturplätzen Polens und bekam einen Eindruck davon, was es heisst, solch ein Konzept einzuwohnen. Nach wenigen Tagen schon räumte ich die Hälfte der Gadgets wieder aus. Hatte nämlich schnell festgestellt, dass ich Dinge, die ich permanent hin und her räumen oder gar suchen muss, am Ende aus Konfusion gar nicht mehr nutzte. Warum also behalten?

Spannend auch, wie sich ein Leben auf 4,25 Quadratmetern anfühlt, wenn alles perfekt organisiert ist?

Darüber berichte ich ein anderes Mal.

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Nach oben scrollen